Wenn es um die Frage geht, wodurch sich eine gute Führungskraft auszeichnet, halten viele die „Persönlichkeit“ für entscheidend. Doch was ist dran an dieser These? Was sagt die Forschung?
Die Beschäftigung mit der Persönlichkeit von Führungskräften reicht in der Psychologie mehr als hundert Jahre zurück. Thimothy A. Judge, Yoce E, Bono, Remus Illies und Megan W. Gerhardt (2002) identifizierten eine Studie des Psychologen Lewis M. Terman aus dem Jahre 1904 als die wahrscheinlich erste empirische Untersuchung zu diesem Thema. Bereits in der 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erschienen die ersten Überblicksartikel, in denen die „Great Man Hypothesis“ als wenig haltbar dargestellt wurde; zu heterogen erschienen die Befunde (Judge et al., 2002). In den nachfolgenden Jahrzehnten gewannen andere Ansätze an Bedeutung, die das Verhalten der Führungskraft bzw. deren zeitlich überdauernden Führungsstil (verhaltenstheoretischer Ansatz) oder die Passung zwischen den situativen Anforderungen und dem Führungsstil (kontingenztheoretischer Ansatz) in den Vordergrund rückten (Rosenstiel& Kaschube, 2014). Gleichwohl hat der persönlichkeitstheoretische Ansatz bis heute Forschung angeregt (z. B. Mai, Frey, Büttgen & Hülsbeck, 2015). Dabei lassen sich unterschiedliche Forschungslinien unterscheiden.
Subjektiv wahrgenommene Persönlichkeit
Die erste Perspektive fragt danach, wie Menschen Führungskräfte wahrnehmen. In Anlehnung an die drei skizzierten Forschungstraditionen wäre eine Fokussierung auf die Persönlichkeit der Führungskraft, ihren Führungsstil oder die Interaktion zwischen Person und Situation denkbar. Vor dem Hintergrund der Attributionsforschung ist jedoch eine sehr viel reduziertere Sichtweise zu erwarten. Der vielfach belegte fundamentale Attributionsfehler (Ross, 1977) besagt, dass wir dazu neigen, die Ursachen für das Verhalten eines anderen Menschen primär in dessen Persönlichkeit zu verorten. Dies ist die einfachste und gleichzeitig weitreichendste Erklärung. Wer glaubt, die Persönlichkeit eines Menschen zu kennen, der glaubt auch, dass er das Verhalten dieser Person in unterschiedlichsten Situationen prognostizieren kann. Die Perspektive des Betrachters blendet dabei situative Einflussfaktoren weitgehend aus. Gilt es hingegen, das eigene Verhalten zu erklären, so neigen wir zu einer sehr viel differenzierteren Betrachtungsweise. Aus uns selbst heraus sehen wir den Einfluss situativer Faktoren auf unser Verhalten, zumal wir ein breiteres Spektrum an Situationen aus der Vergangenheit sowie unsere Gedanken und Gefühle in die Analyse einfließen lassen können.
Die Tendenz, das Führungsverhalten eines anderen Menschen primär auf dessen Persönlichkeit zurückzuführen, mag aber auch mit einem weiteren Phänomen zusammenhängen. Im Alltag wird der Begriff Persönlichkeit oft anders verwendet als in der Forschung: Man hat nicht eine Persönlichkeit, sondern ist eine Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit zu sein bedeutet, dass jemand aus der Masse hervortritt, im besten Falle Erfolg hat und einflussreich ist. Vor diesem Hintergrund ist geradezu zwangsläufig zu erwarten, dass Führungskräften eine besondere Persönlichkeit attestiert wird. Wie sonst hätten sie zur Führungskraft werden können?
Eine besondere Persönlichkeit zu besitzen, gehört zum prototypischen Bild einer Führungskraft (Lord, DeVader & Alliger, 1986), das nicht zuletzt durch Romane, Filme, Biographien oder Medienberichtet kreiert wird. Eine Führungskraft sollte sich daher ihrem Prototypen entsprechend z. B. durch besondere Intelligenz, Extraversion, Maskulinität und Dominanz auszeichnen (Lord et al., 1986).
In jüngerer Zeit geht eine interessante Studie von Christian Mai et al. (2015) der Frage nach, welche Eigenschaften den Vorstandsvorsitzenden der 30 DAX-Unternehmen zugeschrieben wird. Hierzu legten die Autoren ihren Probanden anonyme Beschreibungen der Zielpersonen vor, die sie zuvor auf der Grundlage von Medienberichten und Website-Informationen zusammengestellt haben. Anschließend wurden die Probanden gebeten, mit Hilfe eines Fragebogens die Persönlichkeit der Zielpersonen einzuschätzen. Der Vergleich zu einer Stichprobe von etwa gleichaltrigen Männern ergibt für vier von fünf Dimensionen signifikante Untersch…
Professor Uwe Peter Kanning, Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück.