Viele Organisationen sahen sich im Corona Krisenjahr 2020 vor großen Herausforderungen. Sie mussten ganz plötzlich flexibler und digitaler werden. Doch wie können sich Organisationen in einer immer dynamischeren und komplexen Welt krisenfester aufstellen? Mit ihrem Buch möchten die Autoren Praktikern eine fundierte Einführung geben. Dabei bringen sie ihre eigenen Erfahrungen als Organisationsberater mit ein und liefern einen Orientierungsrahmen für die verschiedenen Tools und Modelle.
Im ersten Kapitel stellen sie sechs Thesen auf, die viele Organisationen bewegen und sich als roter Faden durch das Buch ziehen:
(1) Die Digitalisierung zwingt Organisationen zu neuen Antworten auf die Frage, wie sie sich zukunftssicher aufstellen müssen. Ziel ist es nicht mehr weiter das Effizienzpotenzial zu heben, sondern überhaupt am Markt „spielfähig“ zu bleiben.
(2) Agilität wird als soziale Innovation verstanden, die sich vom Taylorismus und Effizienzgedanken verabschiedet. Das neue Mindset zielt auf Dezentralität und hohe Lernfähigkeit. Das Prinzip lautet daher verkürzt „machen, messen und lernen“.
(3) Die zwangsläufige Umverteilung von Macht ist eine große Herausforderung in diesen Transformationsprozessen. Lassen sich die Führungskräfte auf diesen Prozess ein? Verlernen sie ihr beruflich sozialisiertes Verhalten und Denken in oben und unten?
(4) Immer mehr Menschen wollen anders arbeiten. Sie möchten nicht mehr Mittel zum Zweck sein, sondern die Beziehung zur Organisation neu gestalten.
(5) Nach der Krise, ist vor der Krise. Die Bewältigung von Krisen ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.
(6) Organisationen werden sich verstärkt damit beschäftigen müssen, wie ihr Beitrag zum Gemeinwohl aussieht.
Im zweiten Kapitel geht es um die Erhöhung der Krisenfestigkeit durch Resilienz und Agilität. Dabei werden verschiedene Ansätze vorgestellt, wie der der Holacracy. Er wird von den Autoren als eine Organisationsstruktur angesehen, die das ermöglicht, was Scrum und Design Thinking auf der Produkt- und Projektebene leisten: flexibles Agieren, ständiges Lernen und dabei den Markt bzw. die Kunden ständig im Blick halten.
Im dritten Kapitel werden neun wichtige Hebel der agilen Transformation vorgestellt. Dazu gehören Entscheidungen in Organisationen, Kultur, Organisation und Transformation, Purpose – Gemeinwohl und Transformation, Role-Taking, Role-Making und Rollenvielfalt, Organisation als Resonanzraum für Wachsen und Entwickeln, zehn notwendige Fähigkeiten für Individuen, Führung, Macht und die Umstellung, agile Teams und soziale Innovation
Im nächsten Kapitel geht es um den Prozess der agilen Transformation, in dem die Autoren ihren aus der Praxis stammenden Ansatz eines Modells als Prozessanleitung für die Transformation vorstellen. Um die neun Hebel in der Praxis einzusetzen, stellen die Autoren knapp 40 Tools und Interventionstechniken mit konkreten Regieanweisungen für die praktische Umsetzung vor.
Moving Organizations ist insgesamt ein anregendes Buch mit praktischem Bezug und kleinen Schwächen in der Reflexion. Das zeigen zwei Beispiele: Um die theoretische Basis der Agilität zu belegen, beziehen sich die Autoren auf die Systemtheorie. Doch das, was in der Praxis vieler Berater mit systemisch gemeint wird, ist meist nur sehr lose an die soziologische Systemtheorie in der Wissenschaft gekoppelt und soll vor allem Kompetenz sowie ganzheitliches oder vernetztes Denken suggerieren.
Ein anderes Beispiel ist das im Buch vorgestellte Konzept der Holacracy. Die Autoren erwähnen zwar kritische Herausforderungen, wie die Frage nach dem richtigen Umgang mit Organisationsmitgliedern, die nicht „mitspielen“ wollen. Die Reflexion bleibt aber oberflächlich. Kerngedanke im Holacracy-Ansatz ist es, dass Rollen und nicht Menschen geregelt werden. Dabei wird impliziert, dass Menschen auch ohne Führung sehr gut zusammenarbeiten können. Zweifelsohne gibt es viel schlechte Führung. Doch das Gegenteil von schlechter Führung ist gute Führung und nicht keine Führung. Auch verweisen die Autoren kurz auf das in der New-Work-Szene beliebte, aber auch recht umstrittene Buch des Belgiers Fréderic Laloux „Reinventing Organizations“. Es wäre daher wünschenswert gewesen, wenn sie einige fragwürdige Grundannahmen und fehlenden empirische Belege stärker reflektiert hätten.
Rouven Schäfer, Leiter Human Resources Management, DocCheck in Köln
Frank Boos, Barbara Buzanich-Pöltl: Moving Organizations – Wie Sie sich durch agile Transformation krisenfest aufstellen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2020, 39,95 Euro