Die Zahl ist erschreckend: Weit über 500.000 Fake-Publikation pro Jahr soll es in der Wissenschaft geben. Bei fünf Millionen Publikationen, die im Zeitschriften-Index SCImago gelistet sind. Professor Bernhard A. Sabel spricht vom größten Wissenschaftsbetrug aller Zeiten, der uns lawinenartig überrollt, aber von der Wissenschaft und der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist.
Der Psychologe und habilitierte Mediziner ist eigentlich Wissenschaftler, der sich seit Jahrzehnten mit Plastizität des Gehirns und ihrer Rolle bei Menschen bei Sehproblemen beschäftigt. Eher zufällig kam er auf das Thema Fake-Publikationen. Seitdem versucht er herausfinden, welches System dahinter steckt und wie es uns massiv schädigt.
Der Autor geht es Problem analytisch an. Er listet die Zahlen auf, deckt die Größenordnung auf und gibt Einblick in das Geschäft der Fake-Mafia und ihrer Unterstützer.
Die „Fake-Publikationen“ werden von Papiermühlen oder „Editing-Agenturen meist mit Hilfe künstlicher Intelligenz produziert. Sie werben öffentlich im Internet oder per Email für die Herstellung gefälschter Autorenschaften, Daten, Abbildungen und vollständiger Manuskripte. Dazu kommen Raubjournale, die unerfahrene und blauäugige Wissenschaftsler damit ködern, ihre Publikationen schnell und unkompliziert in besonderen Themenheften zu veröffentlichen. Viele dieser „Zeitschriften“ gibt es in Wahrheit nicht. Und es gibt pseudowissenschaftliche Raubkonferenzen, deren Organisatoren an den Teilnahmegebühren prächtig verdienen. Manche dieser Konferenzen finden gar nicht statt. Es ist ein hoch profitables, betrügerisches Netzwerk voller Tricks, Plagiate und Korruption.
Vor allem China spielt eine wesentliche Rolle im Fälscher-Markt. Dort ist der Druck zu publizieren seitens der Regierung sehr hoch. Es gibt Quoten, wie viele Publikationen pro Einrichtung erreicht werden müssen. Nur dann gibt es Fördermittel oder Belohnungen wie eine Gehalterhöhung von Wissenschaftlern. So ist Durchschnitt der Publikationen in China in den letzten 25 Jahren um 3.200 Prozent gestiegen. In Indien sind es rund 1.300 Prozent. Daneben sind es vor allem Länder wie Russland, die Türkei und der Iran, die Fake-Publikationen verbreiten. Schließlich steht die Zahl der Publikationen für die wissenschaftlichen Erkenntnisse eines Landes, erwünscht von der jeweiligen Regierung.
Doch unternommen wird so gut wie nichts. Dabei haben die Fake-Publikationen unabsehbare Folgen für zentrale Bereiche unseres Lebens. Denn sie führen unweigerlich zum Wissenskollaps. Die Wissenschaft verlässt sich immer mehr auf Fake-Artikel statt auf ehrliche Artikel. Am Ende wissen nicht mehr, was stimmt und was nicht stimmt.
Ein wesentlicher Faktor im Fälscher-Markt sind aber auch die Wissenschaftsverlage. Denn sie haben ein geradezu geniales und höchst lukratives Geschäftsmodell entwickelt. So liegen die weltweiten Gesamteinnahmen trotz der kleinen Zielgruppe von circa acht Millionen Wissenschaftlern bei rund 19 Milliarden Dollar. Das ist ungefähr dieselbe Liga wie die Kino- und Musik-Industrie, nur wesentlich profitabler mit einem Gewinn von bis zu 40 Prozent.
Die Produktion der Artikel zahlt letztlich der Steuerzahler, Stiftungen oder Unternehmen, indem sie die Forschungsstruktur und die Gehälter der Wissenschaftler zahlen. Die schreiben die Artikel umsonst, bezahlen dafür oft noch eine „Article Processing Charge“ an den Verlag. Der publiziert die Artikel und die Wissenschaftler kaufen dann wiederum die Leserechte. Kein Wunder, dass die Verlage das Problem lieber unter den Teppich kehren. Und wenn es nicht anders geht, nur über Einzelfälle berichten.
Auch das Committe on Publication – kurz COPE -, das von den Verlagen beauftragt sind, sich mit dem Thema Integrität zu beschäftigen, vermeidet als „Lobby-Organisation“ das Thema. Und Sabel beschreibt, wie Kongressorganisatoren seinen Vortrag zu Fake-Publikationen zu verhindern versuchten.
Das Buch gibt einen spannenden Einblick in den Markt der Fake-Publikationen und seine Dimensionen. Es macht auf ein bisher kaum bekanntestes Problem und seine gravierenden Folgen aufmerksam und sollte daher Pflichtlektüre für jeden sein, der sich mit wissenschaftlicher Forschung beschäftigt.
Bernhard A. Sabel: Fake-Mafia in der Wissenschaft. KI, Gier und Betrug in der Forschung, Stuttgart: Kohlhammer Verlag, Oktober 2024, 264 Seiten
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.