Kaum ein Thema erregt derzeit mehr Aufmerksamkeit als der Einsatz von KI im Coaching. Kann KI den Coach ersetzen? Welche Chancen bieten sich für Hochschulen und Wissenschaftler?
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) im Coaching ist derzeit in aller Munde. „Da gibt es jeden Monat neue Erkenntnisse“, sagt Matthias Blenke, Vorstandsmitglied des Deutscher Bundesverbands Coaching e.V. (DBVC). „Für uns ist wichtig, wie kann man Qualität von Coaching durch KI verbessern? Wie kann man sich von KI abgrenzen? Und wo sind die Grenzen der KI?“
Kann KI künftig Coaches ersetzen? „Kommt drauf an, was man unter Coaching versteht“, sagt Rebecca Rutschmann, die die Viva la Coaching Academy in Karlsruhe betreibt, dort für Coaches und Learning Experten Kurse in AI Literacy anbietet und seit sechs Jahren KI-Coaches entwickelt. „Wenn ich Hilfestellung will, wie ich zum Beispiel bei einem Projekt vorgehe, kann mir KI gut helfen, auch bei komplexen Fragestellungen“, sagt Rutschmann. „Aber es gibt Limitierungen bei Themen wie Präsenz, Emotionen und menschlicher Verbindung.“
Dabei muss man zunächst einmal wissen, was KI kann und was nicht. „KI kann nicht denken oder erleben, aber KI kann handeln, rational und intuitiv gesteuert“, erklärt Harald Geißler, emeritierter Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. „Diese Handlungen sind immer Simulationen von Kommunikationshandlungen.“ Die Datenbasis sei stets dem Internet entnommen. Bücher, Filme, Whatsapp – alles werde aufsaugt, analysiert und als Modell für Sprechhandlungen genommen. „Es sieht so aus, als würde man mit einem menschlichen Partner reden, der auch denken und fühlen kann. Aber das stimmt nicht“, sagt der Bildungsexperte, der sich vor allem mit Organisationslernen und Coaching beschäftigt.
Es gebe verschiedene Möglichkeiten, KI im Coaching einzusetzen. Man könne KI wie eine Enzyklopädie zu nutzen, die nicht nur unglaublich viel Wissen hat, sondern dieses auch kreativ nutzen, d.h. einzelfallspezifisch anwenden könne. So wird sie zum problemlösenden Wissensexperten. Diese Nutzungsmöglichkeit werde zurzeit auch von Coaches recht intensiv genutzt, und zwar vor allem, um sich z.B. mithilfe von ChatGPT auf Sitzungen vorzubereiten und Ideen zu bekommen. Beispiel: Mein Coachee hat Probleme mit dem Vorgesetzen. Was könnte ich da machen? Die KI spuckt dann Tipps aus, die der Coach nutzen kann.
Inzwischen gibt es auch zahlreiche ChatBots, die zusätzlich zu ihrem enzyklopädischen Wissen auch über eine bestimmte Gesprächsführungskompetenz verfügen. Sie haben eine einprogrammierte Methodik – sogenannte Skripte – , die sehr zielorientiert das Gespräch führt.
Vanessa Mai, Forschungsgruppenleiterin „Smart Technologies in Coaching & Learning“ am Cologne Cobots Lab an der Technische Hochschule Köln TH Köln, arbeitet seit 2019 an dem Thema. Als zertifizierter systemischer Coach bietet sie an ihrer Fakultät der Hochschule Coaching für Studierende in verschiedenen Bereichen an. „Wir sehen, dass viele Studierende an Prüfungsangst leiden“, sagt Mai. „Hier können digitale Medien und KI-Technologien niedrigschwellig unterstützen. Da habe ich mich gefragt, ob das nicht auch technologieunterstützt gemacht werden kann.“ Damit könne man Coachingangebote auch ein Stück skalierbar machen für große Studierendenzahlen.
Zusammen mit der Leiterin des Cologne Cobots Lab, Professorin Anja Richert, entwickelte sie einen Chatbot zum Thema Prüfungsangst, den StudiCoachBot. Er coacht zum Thema Prüfungsangst. Das sei ein erster Einstieg in das Thema. Er gebe keine Ratschläge und mache keine Vorschläge, er sondern stelle Fragen zur Selbstreflexion, die sie aus ihrer Coachingpraxis entwickelt habe. So fragt der Bot zum Beispiel, wie man mit Prüfungsangst umgehe oder welche Methoden man schon ausprobiert habe. „Das ist kein Therapie-Chatbot“, erklärt Mai.
Im Rahmen ihrer Dissertation hat sie das Projekt begleitet und geforscht, ob mit dem Chatbot eine Beziehung aufgebaut werden kann. „Ich konnte zeigen, dass so ein Rapport entsteht, wenn sich die Studierenden darauf einlassen“, sagt Mai. Damals – vor ChatGPT – war das Thema noch neu und über 200 Studierende nutzten den StudiCoachBot. Derzeit arbeite sie auch an anderen weiteren Anwendungsfällen. „Ich sehe innerhalb der Hochschule mehrere Möglichkeiten, zum Beispiel als KI-Mentor, der fachlich unterstützt und hilft, die eigene Rolle zu reflektieren“, erklärt die Forscherin. Es gehe darum, einen niedrigschwelligen Ansatz zu finden. An deutschsprachigen Hochschulen kenne sie wenige vergleichbaren Projekte.
Geplant ist auch ein Chatbot für Promotionsstudierende, in Kooperation mit dem Promotionskolleg NRW. Der soll bei der Themenfindung, den Herausforderungen verschiedener Rollen, dem Umgang mit ersten Führungserfahrungen oder Konflikten mit dem Betreuer unterstützend begleiten. Auch die Begleitung von Teamarbeit sei eine Möglichkeit. Hier gibt es bereits einen ersten Prototyp, der in einer Lehrveranstaltung, der „Hochschulweiten Interdisziplinären Projektwoche“, eingesetzt wird. Begleitend untersucht Mai die Akzeptanz.
Dennoch ist für sie klar: KI könne zwar Fragen stellen und Impulse setzen, doch das sei immer nur als Vorbereitung für Coachingsprozesse von Mensch zu Mensch gedacht, resümiert Mai. „KI ist kein Ersatz für komplexe und vielschichtige Coachinganliegen.“
Menschliche Coaches durch KI zu ersetzen, hält auch Professor Geißler für problematisch. „Das ist ein Strohfeuer und viele Unternehmen setzen darauf, um so sehr preisgünstig ein Coaching zu bekommen.“ Aber es funktioniere nur in bestimmten Grenzen und es gebe auch ein Risiko: Denn die einprogrammierten Gesprächsführungsmethoden passen manchmal nicht so richtig zu dem vorliegenden Coachinganliegen und der situativen Befindlichkeit der Coachees.
Besonders problematisch sei es, dass Chatbots die vom Coachee geäußerten Coachingziele „völlig unkritisch für bare Münze nehmen“. Das heißt, sie übersehen, dass es sein könnte, dass das Coachingziel Teil des Coachingproblems ist. Zum Beispiel: Der Coachee möchte noch erfolgreicher werden und mehr aus sich herausholen. Aber die Person ist ein Workaholic. „Das ist tödlich, wenn man sich dank KI darauf einlässt“, so der Psychologe. Denn zu einem professionellen Coaching gehöre es auch, das Thema hinter dem Thema zu sehen. Das aber könne die KI nicht. „Da braucht man umfangreiches Erfahrungswissen“, so der Coaching-Experte. „Deswegen kann die Nutzung von Coaching-Bots gefährlich sein.“
„Ich kann als Klient nicht einfach irgendeine KI nutzen“, betont auch DBVC-Vorstand sagt Blenke. „Da brauche ich Hilfe, welche KI zu welchem Thema passt.“ KI könne aber Coaching ergänzen und zum Beispiel bei einem akuten Konflikt eine erste Unterstützung bieten, die dann in der Coaching-Sitzung aufgearbeitet wird.
Ein Vorteil sei auch, dass man seinen Coachee fragen könne, ob er nicht mal seinen KI-Assistenten bitten solle, seine Meinung zu einem Thema kund zu tun, erklärt Professor Geißler. „Der sagt dann manchmal ziemlich harte Wahrheiten, die ich als Coach gar nicht sagen könnte, weil das die Arbeitsbeziehung zu sehr belasten würde“, sagt der Psychologe. Aber er könne dann den Coachee fragen, wie er das findet und der fühle sich manchmal sehr gut getroffen. Und weil er wisse, dass die Antwort von einer Maschine kommt, bleibe die Coachingbeziehung auch unangetastet.
Er plädiert daher für ein triadisches KI-Coaching. Das sei ein Coaching, bei dem Coach und Coachee sich bedarfsgerecht von einem KI-Agenten unterstützen lassen. Der Unterschied zu Coaching-Bots sei, dass hier die Gesprächsführung nicht bei der KI, sondern bei Coach und Coachee liegt. Dazu müsse man jedoch den KI-Agenten mit coachingspezifischem Wissen ausstatten, wenn möglich auch mit dem persönlichem Erfahrungswissen des Coachs. „So kann man sich als Coach gewissermaßen klonen und einen digitalen Co-Coach aufbauen, um zusammen mit ihm das Coaching durchzuführen“, erklärt der Professor, der bereits einen KI-Agenten entwickelt hat und ein Buch „KI-Coaching – Wie man Künstliche Intelligenz in und für Coaching nutzen kann“ veröffentlicht hat. Dieser habe ihn schon oft auf Aspekte aufmerksam gemacht, die er selbst übersehen habe. Denn er könne innerhalb einer Sekunde über 6000 mögliche Problemursachen überprüfen. Professor Geißler: „Das ist ein neuer aussichtsreicher Zweig des Coachings.“
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.