Immer mehr Wirtschaftshochschulen bieten Coaching an, in unterschiedlichem Rahmen und Formen. Bei der Einführung sollten sie fünf Kriterien beachten
Das IMD in Lausanne gilt als eine der besten Business Schools der Welt und hat eine klare Positionierung: Developing Leaders – Führungskräfte entwickeln. „Leadership ist Kern, von allem, was wir machen“, sagt Professor Omar Toulan, Dekan für das MBA-Programm am IMD in Lausanne.
Bereits seit mehr als 40 Jahren lernen Studierenden im Master of Business Administration (MBA) daher nicht nur Management, Finanzen und Strategie, der Schwerpunkt liegt auf Führung. Neben dem Unterricht von Professoren bekommt jeder Studierende einen Leadership-Coach zugeteilt und arbeitet mit ihm oder ihr in kleinen Gruppen während des gesamten einjährigen MBA-Studiums. „Wir nennen das Leadership Lab“, sagt der IMD-Professor. Etwa zwölf Coaches betreuen die 80 Studierenden. Das seien alles zertifizierte Coaches, die das IMD seit langem in seinen Managementprogrammen einsetze.
Es geht darum, dass Studierende ihr Potenzial als Führungskraft erkennen und ihre Fähigkeiten ausweiten. „Ein großer Teil ist Selbstreflexion. Denn wenn du dich nicht selbst führen kannst, kannst du auch andere nicht führen“, ist der Professor Toulan überzeugt. Man müsse sich selbst und sein Verhalten verstehen und erkennen, warum das wichtig ist, um auch andere verstehen zu können.
Doch das IMD geht noch einen Schritt weiter. Zusätzlich zum Leadership-Coaching gibt es den Wahlkurs Personal Development. Er besteht aus 20 Stunden Sitzungen mit einem Psychoanalytiker, die das IMD bereitstellt. „Wir verlangen es nicht und es wird auch nicht benotet“, erklärt Professor Toulan. Die Sitzungen seien privat und die Schule bekomme auch keine Informationen über die Inhalte. „Das ist wirklich dafür da, um die großen und sehr persönlichen Fragen im Leben zu bearbeiten.“ Denn ein MBA sei immer ein entscheidender Punkt in der Karriere, an dem man sich fragen sollte, was man wirklich will. Wer die Gelegenheit zur Selbstreflexion verpasse, tue sich später im Berufsleben schwer.
Obwohl die Teilnahme am Programm freiwillig ist, nehmen 95 Prozent der Studierenden daran teil. „Es spricht sich rum, dass das ein wichtiger Teil des Studiums ist“, erklärt der Professor. Interessant sei, dass viele Studierende auch nach dem MBA-Abschluss noch mit dem Psychoanalytiker weiterarbeiten – natürlich auf eigene Kosten. „Das hat eine so bedeutsame Wirkung auf sie“, so Professor Toulan. So bedanken sich die Absolventen in ihren Social Media-Posts oft nicht nur bei ihren Professoren, sondern auch bei den Coaches und Psychoanalytikern
Damit ist das IMD jedoch eine Ausnahme. Er kenne keine andere Wirtschaftshochschule, die das so konsequent in ihr Programm integriere, sagt Professor Toulan. Doch zunehmend wird Coaching auch für Studierende angeboten. Im Gegensatz zu anderen Lehrangeboten geht es darum, die Lernenden durch Selbstreflexion zu unterstützen, ihre Stärken und Potenziale zu erschließen. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Person wird ein Teil der universitären Ausbildung“, erklärt Professor Timo Meynhardt, Inhaber des Dr. Arend Oetker-Lehrstuhls für Wirtschaftspsychologie und Führung an der HHL – Leipzig Graduate School of Management.
Dass das gerade für Wirtschaftshochschulen wichtig ist, liegt auf der Hand. „An einer Business School bilden wir die nächste Führungsgeneration aus. Da ist es mehr als sinnvoll, die Coachingsfähigkeiten auch im Curriculum zu verankern“, sagt Professorin Myriam N. Bechtoldt, Professorin für Leadership, an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel.
An der EBS gibt es schon seit 25 Jahren für Studierende vom ersten bis zum letzten Semester für alle Studiengänge die Möglichkeit, Coaching-Gespräche in Anspruch zu nehmen. Die Anzahl der Gespräche ist nicht beschränkt. Möglich macht dies das eine zusätzlich angebotene fundierte und akademischen Ausbildung zum „Systemischen Coach (EBS)“. Dadurch entsteht ein großer Pool und ein großes Netzwerk an Führungspersönlichkeiten aus allen wirtschaftlichen Bereichen. Diese zertifizierten Coaches coachen wiederum kostenlos die Studierenden. Die akademische Verantwortung für das Coaching-Programm und seine Inhalte liegen bei Professorin Bechtoldt.
Coaching ist aber auch Bestandteil des Studiums. Es ist eine Spezialisierung in den Bachelor-Programmen in Management. Dort gibt es im letzten Studienjahr vier Kurse, einer davon ist Coaching. „Da geht es um Coaching aus wissenschaftlicher Sicht“, erklärt Professorin Bechtoldt. Und um Fragen wie: Was ist Coaching? Was hat Reflektion mit Leadership zu tun? Oder was für eine Führungskraft möchte ich einmal sein?
Das Coaching-Angebot der EBS sei in dieser Form in Deutschland einzigartig. Aber das werde von den Hochschulleitungen oft nicht erkannt und finanziell angemessen gestaltet. Darum kämpft auch Professor Meynhardt. “Wir müssen das Programm komplett über Drittmittel finanzieren und können es leider nur wenigen anbieten.“ Erst so langsam wächst das Bewusstsein, welche Bedeutung Coaching in dieser Lebensphase junger Menschen haben kann. Und mittlerweile ist das Angebot „Neue Leipziger Talente“ für einige sogar zu einem Entscheidungskriterium für ein Studium an der HHL geworden.
An seinem Lehrstuhl wird ein Coaching für alle Master- und MBA-Studenten an der HHL im ersten Jahr angeboten. Jeder bekommt mindestens vier Sitzungen. „Auf die 25 Plätze für die Studierenden gibt es über 80 Bewerbungen“, sagt der Psychologie-Professor. „Der Bedarf ist da.“ Dabei arbeiten der Professor und sein Team mit 25 ehrenamtlichen Coaches zusammen. Diese verdienten kein Geld damit. Aber man biete für sie regelmäßig Weiterbildungen an. „Manche Studierende arbeiten mit dem Coach auf eigene Kosten weiter, wenn sie das Studium abgeschlossen haben“, weiß Meynhardt.
Anders ist der Ansatz an der Hochschule St. Gallen. „In den meisten Master-Programmen gibt es keinen Pflichtkurs zu Coaching“, erklärt Professor Christoph Lechner, akademischer Leiter des „Master in General Management“ an der Hochschule St. Gallen. In dem konsekutiven Master gibt es einen Kurs in Personal Development über zwei Semester, der Pflicht ist. Dabei werden die etwa 120 Studierenden zwei Coaches zugeteilt. Das sei natürlich kein Einzel-Coaching, sondern die Studierenden bekämen eine Einführung in Coaching und machten verschiedene Übung, bei denen sie sich gegenseitig coachen oder lernten, sich Feedback zu geben. Zusätzlich bekommen sie auf Nachfrage Coaching vom Karriereservice. Dort seien auch ausgebildeten Coaches tätig.
Auch Bachelor-Studium gibt es ein Coaching-Programm. Im ersten Jahr, dem sogenannten Assessment-Jahr, legen sich die Studierenden noch nicht für ein Bachelor-Programm fest. Es werden Kernfächer aller Fachrichtungen unterrichtet und geprüft. Neben Betriebs- und Volkswirtschaft, Recht und Politikwissenschaft belegen die Studierenden auch Kurse in Psychologie, Philosophie, Soziologie und Geschichte, machen interdisziplinäre Erfahrungen und entwickeln Verständnis für die verschiedene Fachrichtungen.
„Das Coaching-Programm ist ein kleines Juwel“, sagt Professorin Julia Nentwich, akademische Leiterin des Coaching-Programms. Das Programm ist ein freiwilliges Angebot im Curriculum. 120 bis 140 Studierende bewerben sich, 60 werden nach einem persönlichen Interview aufgenommen. Das Programm umfasst Seminare und das Coaching. „Wir führen einen gruppendynamischen Prozess mit dieser Gruppe durch“, erklärt die Psychologin.
Die ausgewählten Studierenden werden gematcht mit Coaches aus einem über hundertköpfigen Coach-Pool. Die Coaches kommen aus verschiedenen Bereichen, arbeiten als Coach oder Psychotherapeutin oder haben unternehmerische Erfahrungen. Die Treffen mit dem Coach sind sehr individuell und werden von den Studierenden selbst gestaltet. Inhaltlich können ganz unterschiedliche Themen behandelt werden, sei das die Ablösung vom Elternhaus oder der Umgang mit dem hohen Leistungsdruck. „Der Schwerpunkt liegt auf der Persönlichkeitsentwicklung“, erklärt Professor Nentwich. Das grundlegende Ziel sei, dass die Studierenden lernen, wie sie in Selbstreflexion kommen, über das eigene Verhalten nachzudenken und sich selbst zu beobachten.
„Coaching ist keine Persönlichkeitsentwicklung“, kontert HHL-Professor Meynhardt. „Coaching ist Kompetenzentwicklung und Kompetenzerweiterung.“ Weil Coaching nicht klar definiert ist und es auch an den Hochschulen teils fragwürdige Angebote gibt, hat der Psychologie-Professor gemeinsam mit der EBS-Professorin Myriam Bechtoldt Leitlinien erarbeitet, die Hochschulen bei der Einführung von Coaching beachten sollten. „Wer als Hochschule Coaching anbieten will, sollte es ordentlich machen und sich an den fünf Leitlinien orientieren“, fordert Professor Meynhardt. Das müsse jede Hochschule für sich bearbeiten und sich entsprechend verhalten.
Das erste ist die Leitbildorientierung. Business Schools haben unterschiedliche Leitbilder, die als Vision bzw. Mission die strategische Ausrichtung der Hochschule vorgeben. Coaching-Programme sollten sich dazu in Beziehung setzen, ein kompatibles Werteverständnis entwickeln und dieses mit den beteiligten Coaches und Coachees reflektieren. Die zweite ist die Curriculumsorientierung. Wie ist Coaching in das Studium eingebunden? Zum einen geht es hier um die Vermittlung von grundlegenden Coaching-Methoden und -Techniken im Sinne der „Führungskraft als Coach“. Zum anderen geht es um Komponenten zur Beförderung der Selbstreflexion bzw. gruppenbezogener Lernprozesse. Das dritte ist die Transformationsorientierung. Angehende Führungskräfte brauchen eine hohe Kompetenz, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten in einem komplexen gesellschaftlichen Umfeld realistisch einzuschätzen. Die im Coaching gestärkte Fähigkeit zur Selbstreflexion kann dabei unterstützen, Verantwortung für die eigene Person und für andere zu übernehmen. Auch das Zusammenspiel zwischen der Bewältigung innerer Konflikte und äußerer Anforderungen kann bewusst gemacht werden und die Erarbeitung tragfähiger Lösungen unterstützen. Der vierte Punkt ist die Theorie- und Forschungsorientierung. Mit jedem Coaching-Angebot ist eine pädagogische Idee verbunden. Diese sollte von theoretischen Überlegungen geleitet sein, die einer wissenschaftlichen Überprüfung offen gegenüberstehen. Coaching-Programme sollten eigene Positionen des Angebotes sichtbar machen und sich am jeweiligen Forschungsstand orientieren. Dazu gehört auch der Ausschluss von nicht überprüfbaren, bisher nicht wissenschaftlich überprüften bzw. erwiesenermaßen nicht geeigneten Methoden in Diagnostik und Intervention. „Wenn ich mich an der Forschung orientiere, kann ich keinen MBTI machen“, sagt Professor Dr. Meynhardt. Der MBTI ist – wie der DISG, Insight MDI und Persolog – ein Persönlichkeitstest, der Menschen in verschiedene Typen einteilt, und gilt als unwissenschaftlich, ist aber besonders an Business Schools noch immer verbreitet. Und letztlich die Qualitätsorientierung: Sie betrifft insbesondere überprüfbare Aussagen zu Struktur, Prozessen und eingesetzten Methoden. Es geht zudem um Zugangswege, Ablauf und Erfolgskriterien des Coachings. Bei den Coaches spielen Auswahlkriterien sowie Weiterbildungs- und Supervisionsangebote eine Rolle, wie die Abgrenzung von Therapieangeboten.
„Wir sehen das Paper als Diskussionsvorschlag“, sagt der Psychologie-Professor. Er hoffe, dass die Hochschulen daran Interesse zeigen.
Weitere Literatur: Coaching für Studierende an Business Schools: Ja, aber wie?
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.