Entlassungen in der Tech-Branche: Soziale Ansteckungsgefahr 

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In den letzten Monaten haben Technologie-Unternehmen Tausende von Mitarbeitern entlassen. Grund ist vor allem die „soziale Ansteckung“, meint Stanford-Professor Jeffrey Pfeffer.

Vor kurzem meldete Amazon den Abbau von 18.000 Stellen, der Google-Mutterkonzern Alphabet streicht von 12.000 Stellen weltweit. Und nun will auch SAP 3.000 Stellen abbauen. Die massiven Entlassungen der Tech-Mitarbeiter bei Amazon, Alphabet, Meta, Micosoft und Twitter und vielen anderen haben die Branche schwer getroffen.

„Die Entlassungen in der Technologie-Branche sind im Grunde ein Beispiel für soziale Ansteckung, bei der Unternehmen das nachzuahmen, was andere tun“, sagt Jeffrey Pfeffer, Professor für Organizational Behavior an der Stanford Graduate School of Business. Wenn man nach Gründen suche, warum Unternehmen Entlassungen vornehmen, sei es vor allem deshalb, weil alle anderen es auch tun. „Entlassungen sind das Ergebnis eines nachahmenden Verhaltens und nicht besonders evidenzbasiert“, so Professor Pfeffer in einem Interview.

Er habe schon von Managern gehört, dass sie wissen, dass Entlassungen dem Wohlbefinden des Unternehmens schaden, ganz zu schweigen vom Wohlbefinden der Mitarbeiter, und dass sie nicht viel bewirken. Aber jeder mache es. „Entlassungen lösen nicht das eigentliche Problem, das oft in einer unwirksamen Strategie, einem Verlust von Marktanteilen oder zu geringen Einnahmen besteht“, so der Stanford-Professor. „Entlassungen sind grundsätzlich eine schlechte Entscheidung.“

Sie führten oft nicht zu Kostensenkungen, da entlassene Mitarbeiter als Auftragnehmer eines Personaldienstleisters wieder eingestellt werden, wobei die Unternehmen dafür bezahlen. Entlassungen führten oft nicht zu höheren Aktienkursen, auch weil Entlassungen ein Zeichen dafür sein können, dass ein Unternehmen in Schwierigkeiten steckt. Sie steigerten auch nicht die Produktivität.

Unternehmen entließen manchmal Mitarbeiter, die sie gerade erst eingestellt haben – oft mit bezahlten Einstellungsprämien. Wenn sich die Wirtschaft in den nächsten Monaten erhole, werden sie wieder auf den Markt gehen und um die Einstellung von Talenten konkurrieren. Im Grunde kaufen sie Arbeitskräfte zu einem hohen Preis ein und verkaufen sie billig.

Aber die Unternehmen schenkten den Fakten gegen Entlassungen keine Beachtung. Würden sie das tun, könnten sie sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, weil sie ihre Entscheidungen tatsächlich auf wissenschaftliche Grundlagen stützen würden.

Zudem töteten Entlassungen Menschen, buchstäblich. Sie töteten Menschen auf verschiedene Weise. Entlassungen erhöhten die Selbstmord-Wahrscheinlichkeit um das Zweieinhalbfache. Dies gelte auch außerhalb der USA, selbst in Ländern mit besseren sozialen Sicherheitsnetzen als in den USA wie Neuseeland. Entlassungen erhöhten die Sterblichkeitsrate in den folgenden 20 Jahren um 15 bis 20 Prozent.

Es gebe auch gesundheitliche Folgen für Manager, die Mitarbeiter entlassen und für die verbleibenden Mitarbeiter. Entlassungen erhöhten den Stress und der sei – wie viele Einstellungen und Gefühle – ansteckend.

Zudem bestehe die Gefahr, dass Entlassungen auch auf andere Branchen übergreifen und zu Personalabbau führen. Entlassungen seien branchenübergreifend und branchenintern ansteckend. Die Logik, die dahintersteckt, klinge nicht sehr vernünftig: Alle anderen tun es, warum nicht auch wir?

Unternehmen könnten die angespannte Wirtschaftslage als Chance nutzen, um die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zu verbessern und neue Talente einzustellen. Sie könnten Boden gegenüber der Konkurrenz gutmachen und Marktanteile gewinnen, während alle anderen Stellen abbauen und die Innovation einstellen. „Das ist eine Chance“, so Professor Pfeffer. „Die sozialen Medien werden nicht verschwinden. Künstliche Intelligenz, Statistiksoftware und Webdienste – nichts von alledem wird verschwinden.“

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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